Wenn man mir sagen würde, dass die Schilder ursprünglich von einer Einzelperson oder einer kleinen Gruppe auf Eigeninitiative hin aufgestellt wurden, dann kann ich das so nicht glauben. Denn ich gehe davon aus, dass Leute, die so was machen, Personen unterschiedlichen Alters sind, die von einer städtischen Stelle bezahlt werden. Sie werden bezahlt, damit man sie verpflichten kann, gemäss einer genauen Anweisung Schilder als Verkehrszeichen aus hochstabilem Aluminium mit retroreflektierender Folie beschichtet an verschiedenen Orten aufzustellen. So viel ich weiss, erfolgt diese Tätigkeit zur Tageszeit, unterliegt einer strengen Norm, wird jeweils gründlich geplant und gemäss den Verkehrsregelungen beaufsichtigt.
Warum übersprayen, überschreiben und überkleben manche Leute Schilder? Wenn man mir sagen würde, das seien Leute, die von der Stadt offiziell beauftragt wurden, verschiedene Schilder in und um die Stadt, an Ort und Stelle nach eigenem Gutdünken umzugestalten, dann kann ich das so nicht glauben. Ich nehme an, es sind vorwiegend junge Leute, die so was machen. Bis jetzt habe ich noch nie jemanden in Aktion gesehen, der ein Schild überklebt. Ich habe den Eindruck, sie machen das meist auf Eigeninitiative hin, alleine oder in kleinen Gruppen. Vielleicht zu nächtlicher Stunde, sicher aber in einem Moment, wo sie davon ausgehen können, dass ihre Aktion von niemandem beobachtet wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie unabsichtlich auf die Schilder treffen, allerdings bereits eine Spraydose mit dabeihaben oder eher zufällig irgend einen Zettel der sich aufkleben lässt. Ich gehe davon aus, dass keine ursprüngliche Idee bestand, wie das Schild schlussendlich aussehen sollte. Der ganze Prozess seiner Umgestaltung erfolgte über einen grösseren Zeitraum und ich nehme an, dass es mehrere aktiv beteiligte Personen waren die, was das allgemeine Vorgehen betrifft, nicht gemäss einer detaillierten Planung und gegenseitigen Absprache ihre Beiträge leisteten.
Zu Fuss habe ich mich damals dem Schild genähert. So wie eine Raumsonde, die einen neuen Planeten entdeckt, wurde die Distanz zwischen mir und dem Schild immer kürzer. Das Schild habe ich zuerst als runde Scheibe wahrgenommen. Erst danach wurde ich auf die Einzelheiten aufmerksam. Mit meinem Handy habe ich zuerst das ganze Schild in übrigens schlechter Qualität fotografiert. Anschliessend bin ich mit dem Handy, ähnlich einer Raumsonde über die gesamte Fläche des Schildes in geringem Abstand gekreist und habe so zahlreiche Fotos geknipst.
Dabei habe ich die Distanz meiner Hand zur Schildoberfläche versehentlich dauernd verändert, was unterschiedlich grosse Detailaufnahmen zur Folge hatte. Die Oberflächentextur der weissen Innenfläche erinnert mich an ein Insektenauge, das sogenannte Facettenauge. Als Facetten- oder Komplexauge bezeichnet man den häufig bei Gliederfüssern vorkommenden Augentyp, bei dem ein Auge sich aus mehreren, bei bestimmten Insekten wie z.B. den Libellen sogar aus mehreren zehntausend Ommatidien (Einzelaugen) zusammensetzt. Als lichtbrechender Apparat wirkt eine aus Chitin gebildete Cornealinse, die in der Aufsicht meist sechseckig ist und die in ihrer Gesamtheit der Augenoberfläche ein facettiertes Aussehen geben (Name). Das Insekt setzt sich das Bild des wahrgenommenen Objektes mosaikartig aus zahlreichen Punkten zusammen.
Erst 9 Jahre später habe ich die cirka 62 Einzelbilder mit dem Tintenstrahldrucker ausgedruckt. Das Papier wurde vom Tintenstrahldrucker also sozusagen mit farbiger Tinte überklebt. Die einzelnen Bilder habe ich dabei nur ungefähr nach Augenmass vergrössert. Ähnlich den zusammengesetzten Raumfahrtbildern habe ich das ganze Schild gemäss der Gesamtaufnahme „so ungefähr“ rekonstruiert und dabei die einzelnen Papierteile mit Leim auf eine runde MDF-Platte geklebt.
Dabei wurde also der Schildgrund mit Farbe überklebtem Papier überklebt. Qualitativ fand ich die Farbe der Tinte nicht ansprechend. Ich habe die einzelnen Teile mit Ölfarbe übermalt, was zusammen mit der darunterliegenden Tinte einen Mischeffekt ergab. So gesehen überklebte ich die farbige Tinte mit Ölfarbe. Ich habe mich nach der Tintenfarbe orientiert, um entscheiden zu können, wo und wie mit Ölfarbe koloriert wird. Gewissermassen wird das Kolorieren mit Pinsel und Ölfarbe durch die darunterliegende Tinte grundsätzlich vorgeschrieben. Dem bestehenden Farbton habe ich allerdings meistens mit einem etwas anderen Farbton entgegengewirkt. Im Sinne einer Mischtechnik hat die darunter liegende Tinte farblich allerdings einen starken Einfluss auf die darüber liegende Ölfarbe. Den Mischeffekt kann ich mir nicht genau im Voraus vorstellen. Die Farben die dabei entstehen, haben etwas Zufälliges und die Farbgebung widersetzt sich dadurch ein Stück weit meinen Absichten. Das Bild hat scheinbar eine eigene Meinung.
Auf einer der aufgeklebten Etiketten stand die Jahrzahl 2009. So wie ich mich erinnern kann, habe ich damals im Marzili in Bern dieses Schild mit meinem Handy fotografiert. Auf dem rekonstruierten Schild gibt es diesen Abschnitt zweimal. Einmal habe ich die Jahrzahl 2009 mit 2018 übermalt. Dem Jahr also, als ich das Schild übergeklebt und übermalt habe. Daneben habe ich die Jahrzahl 2009 mit 2009 übermalt. Dem Jahr also, in dem ich das Schild entdeckt habe.
Text: Andreas Gerber